Vater, Mutter, Kind – und am besten noch verheiratet. Diese Zusammenstellung galt in unserer Gesellschaft lange als Norm. Doch diese alten Ideale brechen zunehmend auf. Immer mehr Menschen leben ihre Liebe anders aus. Eine dieser alternativen Beziehungsformen ist die Polyamorie. Hier erfahrt ihr, was polyamore Beziehungen ausmacht. Außerdem haben mir polyamor lebende Menschen erzählt, welche Vorurteile unbedingt der Vergangenheit angehören sollten.
Was ist Polyamorie?
Um es gleich vorwegzunehmen: Mit Polygamie, also mit einer Vielehe, hat die Polyamorie nichts zu tun. Diese Begriffe sollten also niemals synonym verwendet werden. Die Polyamorie ist eine Beziehungsform, bei der beide Partner mehrere, auch sexuelle, Liebesbeziehungen haben (können). Die Basis von polyamoren Beziehungen ist das Einverständnis aller Beteiligten. Geheimhaltung hat in ehrlichen polyamoren Partnerschaften nichts zu suchen. Die Beteiligten müssen nicht, können aber alle in einer Beziehung miteinander sein. Es kann durchaus sein, dass zwei Partner*innen miteinander verheiratet sind. Eine Ehe ist kein Hindernis für die Polyamorie. Auch müssen nicht immer mehrere Beziehungen gleichzeitig bestehen – wann Amors Pfeil einschlägt, kann sich schließlich niemand aussuchen.
Wie fühlen sich polyamor lebende Menschen in ihren Beziehungen?
Für einen tieferen Einblick habe ich mehrere Menschen in polyamoren Beziehungen befragt. Demnach werden Beziehungen oft vertrauensvoller, wenn sich die Partner*innen für die Polyamorie entscheiden. Auch besteht mehr Offenheit. Die Befragten nannten mir außerdem die Freiheit, ihre Liebe an mehrere Menschen verteilen zu können, als positiven Aspekt. Sie müssen ihre Gefühle für andere Menschen nicht unterdrücken, falls sie welche entwickeln. Dies empfinden sie als enorme Erleichterung. Außerdem ist es schön, sich mit den anderen über eine neue Liebe freuen zu können.
Viele Menschen sind schon mit einer Beziehung vollkommen ausgelastet. Die Liebe zu einem anderen Menschen ist immer mit vielen Emotionen verbunden – wie kompliziert müssen dann erst mehrere Partnerschaften sein? Natürlich gibt es auch in polyamoren Beziehungen schwere Zeiten. Vor allem zu Beginn ist die neue Art der Liebe oft ungewohnt. Aber an dieser emotionalen Achterbahnfahrt können Beziehungen wachsen: Gerade diese Startschwierigkeiten sorgten bei meinen Befragten für eine stärkere Bindung, nachdem sie diese überwunden hatten.
Ein Problem der Polyamorie: Vorurteile
Viele polyamor Lebende sprechen nicht öffentlich über ihr alternatives Liebesleben. Zu groß sind die Vorurteile: Beispielsweise, dass es nicht möglich ist, mehrere Menschen „richtig“ zu lieben. Oder dass man sich einfach nicht für einen Partner entscheiden beziehungsweise auf diesen Partner festlegen will. Oft wird eine polyamore Beziehung nicht ernst genommen. Auch denken viele Menschen, dass es nur um den sexuellen Aspekt geht. Jedoch besteht die Basis der Polyamorie aus Liebe, Ehrlichkeit und Vertrauen. Dies grenzt sie zu einer Beziehung ab, die nur für neue sexuelle Kontakte geöffnet wird.
Aufgrund der Geheimhaltung vieler polyamor Lebenden ist es nicht verwunderlich, dass der erste Kontakt mit dieser Beziehungsform oft online stattfindet. In den sozialen Medien trauen sich viele Menschen, offen über das Thema Polyamorie zu sprechen. Durch diese Erfahrungen inspirieren sie andere, ihre Liebe freier zu verteilen. Oder sie lassen andere Menschen wissen, dass es nicht falsch ist, mehrere Menschen zu lieben.
Ziel für unsere Gesellschaft: Beziehungsvielfalt anerkennen
Natürlich ist die Polyamorie nicht für jeden was, denn jeder hat andere Vorstellungen von einer idealen Partnerschaft. Diese kann eine einzelne Beziehung sein. Viele Menschen lieben aber abseits der Norm – daher ist es wichtig, dass unsere Gesellschaft offener gegenüber dem Thema „Beziehungsvielfalt“ wird. Da die Polyamorie nur funktioniert, wenn alle Partner*innen ehrlich und respektvoll behandelt werden, tut sie niemandem weh. Darum hat sie es verdient, ernst genommen zu werden.
Michèle Gries
Michèle Gries hat ihre Zeit schon immer gerne mit Schreiben verbracht. Im Germanistik-Studium widmete sie sich besonders der Literatur- und Medienpraxis sowie Märchen- und Phantastikforschung. Nach einigen Jahren als PR-Beraterin und Redakteurin beschloss sie, künftig als freie Texterin und Lektorin zu arbeiten.
Natürlich gehört die Literatur zu ihren Lieblingsthemen. Sie schreibt aber auch genauso gerne über Tierrechte, Persönlichkeitsentwicklung und alles andere, das ihre Neugier und Phantasie weckt.
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