Kurzgeschichte “Karl liebt Karla” von Louise Lunghard

Karl liebt Karla

Das Ja geschah in einer Kirche, weiße Schleppe im Kreuz. Schon da war Vorsicht oberstes Ziel. Bremse, denkt Karla manchmal grübelnd auf einem Sofa gefangen, Designerstück, Edellager, kein 0815-Ding für 232 Euro aus dem Möbeldiscounter. Wo ist die Bremse?, erhebt sich ein Wort zur Frage. Egal. Das Leben ist toll, dessen ungeachtet, wenngleich andererseits, erst recht nun gerade – trotzdem. Spucke Synonyme in die Welt, auf dass sie anders wird.

Karla überragt den Karl um eine Kopflänge. Hohe Schuhe werden damit Vergangenheit. Es sind nicht die Äußerlichkeiten, die zählen, sagt Karl manchmal, wenn Karla Fragen stellt, und bleibt drei Stunden länger im Büro bei einem Kopf kürzer mit längeren Beinen und einer Balkongröße in C. Irgendwo guckt ein Wurm mit Sehnsucht aus einer angefressenen Brotscheibe.

Da. Ein Blick in den Spiegel. Eine reflektierende Fläche, glatt genug, um Abbilder in Räume zu werfen. Außenansichten anstelle von Innenleben. Im Grunde möchte Karla weichen. Weg von sich gehen, hier lassen, was in Jahren an Zinsen entstanden ist, nur den Teil nehmen, der vorher schon da war, sozusagen das Grundkapital. Alles, was danach gewachsen ist, in eine Tonne schmeißen. Deckel drauf. Vergessen.

Und sie bleibt trotzdem bleibt sie, schwer und träge geworden an Gedankenballast. Das falsche Dilemma beruht auf dem Glauben, sich im Dilemma zu befinden. Glaube bedeutet offen zu sein für manchmal irrige Annahmen.

Karla bucht Bleiben, beugt sich selbst erdachter Gefangenschaft. Die Schleppe im Kreuz stolpert sie über hohe Hacken von früher. Wer sich an Vergangenheit erhängt, stirbt. Schon wieder werden Synonyme zurate gezogen. Vor Zeiten bis zum heutigen Tage ist früher vergangen, vorbei und gewesen.

Es ist doch alles gut. Kein Grund zur Klage, macht klagen schwer, fragwürdig, hinfällig, zwecklos, überflüssig dagegen nicht, denn aus der Klage wächst manchmal Erkenntnis und ein Licht geht auf. Ist der Weg nach hinten versperrt, gäbe es seitlich noch eine Möglichkeit. Auf der Stelle treten, bedeutet keinen falschen Weg einzuschlagen. So viel dazu.

Es hätten noch weitere Interna verbreitet werden dürfen, ausführlicher, liebevoller, nicht in Fetzen geworfen, sondern gezielt platziert mit Adjektiven behangen. Gelandet inmitten einer Auflösung ohne jede Vorkenntnis im Bruchteil des Augenblicks mit der Frage: Wo ist die Bremse? Unerheblich. Bremsen ist leicht. Rechter Fuß auf das Pedal, ein paar Sekunden. Leben hält an.

Trotzdem. Ringe getauscht mit Gravur. Versprechen auf immer, bis der Tod beendet. Was liebst du an mir?, fragt Karla die Wand. Dass du da bist, hallt es blechern zurück. Verträge werden heimlich geschlossen und heimlich schließen Verträge.

Bild: Louise Lunghard

Karl hat viel zu tun. Karl leistet Mengen. Karl weiß das wie Karla. Es schweißt, wenn zwei Gleiches denken. Und wenn

du bist schön

ich begehre

ohne?

– dann auf jeden Fall trotzdem. Denn Karl liebt Karla – nur umgekehrt.

Gefangen auf dem Designerstück und Edellager des Sofas erfolgt eine Bremsung. Kopf fliegt gegen Glas. Hier wären Worte angebracht, die das Gehirn nicht versteht, die das Herz vernichten. Was bleibt nach der Bremsung? Ein halbes Haus, ein Monatsscheck, ein Konto, ein Koffer, ein Ticket? Das Leben ist B-Ware mit der Schleppe im Kreuz, langen Beinen und kaltem Schatten auf dem Balkon.

Später dampft eine Kartoffelsuppe auf dem Herd der Vernichtung entgegen. Verträge werden heimlich geschlossen. Sie lösen sich, wenn der Preis steigt. Was wenn ich nicht mehr da wäre?, fragt Karla die Wand und krallt sich an Worte. Bleibt trotzdem trotzdem? Die Wand lacht mit schüttelndem Beben und schweigt.

Louise Lunghard

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