Wenn ein geliebter Mensch verstirbt, dann bricht eine Welt zusammen. Die unaufhaltsame Gewissheit, dass nichts mehr so sein wird wie vorher, schmerzt unsäglich und hinterlässt eine schwer zu überwindende Ohnmacht. Für das soziale Umfeld des Trauernden ist es häufig schwer, einen festen Halt zu bieten. Sprachlosigkeit und Unsicherheit darüber, wie man denn mit dem Menschen nun umgehen soll, beherrschen häufig die Beziehungen zueinander. Was können wir tun, um Freunden in der Trauer zu helfen?
Das Trauerjahr – was kommt danach?
Am sogenannten Trauerjahr orientieren sich Freunde, Familie, Nachbarn und Bekannte, wie lange Menschen ihre Trauer nach außen tragen „dürfen“ und wann „es auch mal gut ist“. Aber was kommt eigentlich danach? Haben Hinterbliebene nach 365 Tagen ihren Frieden mit dem Tod und dem Verstorbenen gemacht? Sind die Wunden verheilt, sobald die schwarze Kleidung abgelegt wurde?
In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnet das Trauerjahr den Zeitraum, in dem eine Witwe nach Versterben ihres Ehemannes noch nicht wieder heiraten durfte. Es wurde von der hinterbliebenen Frau erwartet, dass sie bedeckte oder schwarze Kleidung trug, der hinterbliebene Mann einen Trauerflor. Erst 1998 wurde das Gesetz nach altem Römischen Recht aufgehoben, weil es längst an Bedeutung verloren hatte. Schon zuvor wurden „Zuwiderhandlungen“ geduldet und laufend „Ausnahmen“ genehmigt.
Wie lange Trauer andauern darf und über welchen Zeitraum hinweg Hinterbliebene schwarze Kleidung tragen möchten, ist in der Regel heute jedem selbst überlassen. Trauer kennt keine Zeit und lässt sich nicht unter Druck steuern. Viele Menschen haben dafür Verständnis. Dennoch ist es schwer, mit Trauernden umzugehen und ihnen Trost zu spenden. Freunde und Bekannte fühlen sich durch die Tränen und die Verzweiflung gelähmt und häufig fehlen die Worte. Aufbrechende, starke Emotionen seines Gegenübers anzunehmen – das ist alles andere als leicht. Hinzu kommt, dass das Leben einfach weitergeht. Selbst wenn im sozialen Umfeld Trost gespendet und Hilfe angeboten wird, fühlen sich viele Trauernde nach gut einem Jahr allein gelassen. Sie treffen auf Unverständnis, dass sie „noch immer trauern“ oder die Trauer das Leben noch immer beherrscht.
Die vier Trauerphasen nach Verena Kast
Der Tod eines geliebten Menschen macht etwas mit den Hinterbliebenen, das die Schweizer Psychologin Verena Kast 1982 in vier Trauerphasen eingeteilt hat. Die erste Trauerphase folgt direkt auf die Todesnachricht, die letzte bildet das Ende der Trauerzeit. Ein Zeitraum ist aber nicht festgelegt. Vielmehr ist innerhalb der Phasen viel Raum für individuelle Situationen, Beziehungen und persönliche Entwicklungen. Die Trauerphasen nach Kast dienen als Orientierung und vermitteln insbesondere dem sozialen Umfeld eine Idee davon, wie sich Trauer äußert. Sie gehen fließend ineinander über. Trauer läuft nicht nach einem strengen Schema ab. Die Phasen können unterschiedlich ausgeprägt sein.
Phase 1: Nicht-Wahrhaben-Wollen
Die erste Phase sieht von außen betrachtet aus wie eine Schockstarre: Entsetzen, Fassungs – und Empfindungslosigkeit. Der Trauernde will den Tod nicht wahrhaben. Meistens fließen zu diesem Zeitpunkt noch keine Tränen oder nur sehr wenige. Der Wunsch, schnell aus diesem Albtraum zu erwachen, kommt auf. „Wenn ich es leugne, dann ist es nicht wahr“, auf diese Weise wird versucht, den Tod nicht stattfinden zu lassen. Trauernde igeln sich in dieser ersten Zeit nach der Todesnachricht häufig ein, um sich vor der bitteren Wahrheit, vor der Realität zu schützen. In der Regel ist diese erste Phase sehr kurz. Sie dauert vielleicht einige Tage oder wenige Wochen. Insbesondere bei einem plötzlich und unverhofft eintretenden Tod kann das „Nicht-Wahrhaben-Wollen“ aber sehr lang andauern.
Was können Sie tun, um Hinterbliebenen in dieser Zeit beizustehen? Übernehmen Sie alltägliche Erledigungen, mit denen sich der Trauernde überfordert fühlt. Helfen Sie bei den Formalitäten rund um die bevorstehende Beerdigung, zum Beispiel bei der Suche nach Versicherungsunterlagen oder beim Herauslegen persönlicher Gegenstände als Grabbeigabe. Signalisieren Sie, dass Sie da sind, wenn Sie gebraucht werden. Aber sehen Sie unbedingt von Bevormundungen ab!
Phase 2: Aufbrechende Emotionen
Wut und Zorn, Angst und Trauer, Freude, Ruhelosigkeit verbunden mit Schlafstörungen. Mit dem Begreifen, dass der geliebte Mensch nie wieder zurückkommen wird, brechen die Emotionen auf. Häufig bestimmt die Beziehung zum Verstorbenen den Verlauf der Phase. Gab es unausgesprochene Dinge? Lag ein Streit in der Luft? Konnte eine Versöhnung stattfinden? Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, aber auch die Suche nach einem Schuldigen, der den Tod verantwortet, kann mit den aufbrechenden Gefühlen auftreten.
In unserer Gesellschaft spielt die Selbstbeherrschung grundsätzlich eine wichtige Rolle. Selbstbeherrschung ist aber gerade in Zeiten der Trauer überhaupt nicht angebracht. Aufbrechende Emotionen dürfen nicht unterdrückt, sie müssen herausgelassen werden. Tränen dürfen und sollen fließen. Und häufig ist dafür ein verständnisvolles Umfeld gefragt, in dem Selbstbeherrschung keine Rolle spielt. Weinen, schreien, lachen – alles muss erlaubt sein, um den Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Wenn Sie merken, dass Ihr trauernder Freund ein Bedürfnis hat, Erinnerungen auszusprechen, dann nehmen Sie teil daran. Lassen Sie ihn erzählen, weinen, wütend sein. Nehmen Sie Schuldzuweisungen und Selbstvorwürfe zur Kenntnis, ohne sie zu bekräftigen oder sie auszureden. Geben Sie vielleicht auch Anregungen, wie die Trauerarbeit aktiv gestaltet werden kann (zum Beispiel durch das Schreiben eines Tagebuchs, Briefe an den Verstorbenen, Musik oder andere Rituale).
Phase 3: Suchen, finden und sich trennen
Die dritte Phase kann Dreh- und Angelpunkt der Trauer sein. Der Verstorbene wird gesucht. Eine intensive Beschäftigung mit allem, was das gemeinsame Leben gestaltet und was den geliebten Menschen ausgemacht hat, kann heilsam sein. Der Weg dahin ist meist sehr schmerzhaft. Die Erinnerungen, selbst an schöne Zeiten, bedeuten immer und immer wieder, dass das gemeinsame Leben vorbei ist. Aus diesem Grund werden sie gesammelt wie wertvolle Briefmarken. Es sind kostbare Erinnerungen, die ein Stück des alten, gemeinsamen Lebens in das neue, noch ungewohnt einsame retten. Am Ende dieser Phase sollte eine Trennung stehen. Bis diese Trennung erreicht ist, können Monate oder Jahre vergehen.
Menschen, die Trauernden helfen möchten, neigen dazu, eine Akzeptanz der Umstände herbeizuführen. Das wird nicht funktionieren und löst nur unnötigen Druck aus. Sicher werden Sie sich wiederholt die gleichen Geschichten und Erinnerungen aus dem gemeinsamen Leben anhören. Bleiben Sie geduldig und hören Sie zu. Signalisieren Sie, dass alle Themen angesprochen werden dürfen. Zum Ende der Phase bemerken Sie vielleicht Ansätze zur Neuorientierung. Unterstützen Sie diese!
Phase 4: Neuer Selbst- und Weltbezug
Wenn der Verstorbene seinen Platz im Leben des Trauernden gefunden hat, allmählich Ruhe und neue Pläne in das Leben einkehren, dann ist die vierte Phase erreicht. Häufig hat sich die Selbst- und Weltsicht des Hinterbliebenen verändert und der Verlust hat seine Spuren in der Seele hinterlassen. Das wird sich weiterhin äußern, auch wenn die starken Emotionen nicht mehr unbedingt von außen wahrzunehmen sind.
Akzeptieren Sie, dass Sie in der letzten Phase der Trauer nicht mehr so intensiv als Begleiter gebraucht werden. Sie sollten aber für „Rückfälle“ sensibel und weiterhin da sein, wenn es die Situation verlangt. Bleiben Sie offen für den neuen Selbst- und Weltbezug und die persönliche Entwicklung des Trauernden.
Trauer ohne Zeitdruck
Die Phasen lassen sich nicht in einem Jahr durchlaufen – möglich ist das zwar schon, aber wir sollten aufhören, Trauer zeitlich einordnen zu wollen. Es kann sein, dass Hinterbliebene mehr Zeit brauchen, um ihren Frieden mit dem Versterben zu finden. Nach einem Jahr ist es eben häufig noch nicht gut. Es wird irgendwann leichter sein, mit dem Verlust zu leben. Aber es wird nie wieder so werden, wie es einmal war. Auch nach Abschluss der Phasen – das klingt ein bisschen zu bürokratisch – kommt es immer wieder zu Situationen und Anlässen, an denen die Tränen fließen. Dann ist es gut, Freunde um sich zu haben, die sich diesen Emotionen gewachsen fühlen.
Verena Hohmann
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Das ist sehr schön sensibel und passend beschrieben. Leider ist es halt immer noch so, dass in unserer Kultur oder Gesellschaft der Tod panisch tabuisiert wird, während man in anderen Kulturen die Toten und Ahnen richtig feiert und ehrt. Man tut hier ein wenig so, als könnte man den Tod vermeiden, wenn man ihn verdrängt. Durch diese ungesunde Tabuisierung und Verdrängung des Themas sind die Betroffenen dann oft alleine bzw. Nahestehende sind hilflos und wissen nicht, wie sie trösten sollen. Diese 4 Phasen zu kennen, hilft sicher weiter.
Ganz lieben Dank für deinen Kommentar! Die Generation unserer Großeltern ist hierzulande auch noch viel offener mit dem Thema umgegangen.
Das ist ein wichtiges, sensibles Thema, das du sachlich behandelt hast. Damit gibst du auch den Personen im Umfeld von Trauernden hilfreiche Tipps.
Vielen Dank, liebe Katrin, das war meine Absicht! 🙂
danke für diesen hilfreichen Artikel. Jeder von uns war schon einmal mit diesem Thema konfrontiert und wird es wohl auch in Zukunft immer wieder sein.
Vielen Dank, liebe Jutta! Leider ist es so, wie du schreibst. Der Tod ist viel zu oft Teil unseres Lebens.