Frühsommersonntagmorgen

Es ist ein Sonntagmorgen im Juni, kurz nach fünf. Die Nacht ist zu Ende. Durch das geöffnete Fenster strömt frische Luft in das Schlafzimmer. So hat er es gern. Das Bett ist so schön warm. Langsam schiebt er ein Bein unter der Decke hervor, um die Frische auf der nackten Haut zu spüren.

Von draussen tönt ein symphonisches Konzert der Vogelstimmen. Wenn ihm die Abfolge der Vogeluhr einfallen würde, wüsste er welcher Vogel gerade sein Solo gibt und auch wie spät es gerade sein möge. Es fällt ihm nicht ein, also geniesst er einfach das Gesamtkonzert der Lebensfreude unserer kleinen gefiederten Freunde.
Ein Lächeln huscht ihm über die Lippen, als ein paar Krähen mit ihrer, ausnehmend schönen Stimme dazu krächzen.
In wenigen Minuten ist die Sonne aufgegangen und die Vogelstimmen weichen dem Klang der nahen Autobahn.

Die Wolkendecke, aus die ganze Nacht ein feiner Landregen gefallen ist, reisst gemächlich auf und macht einem strahlenden Sonnenaufgang Platz. Hinter der Kulisse der nahen Berge schiebt sich langsam die Sonne empor.
Es ist an der Zeit, das wärmende Nest zu verlassen. Also, kurz und schmerzhaft: Decke weg und ab ins Bad. Da steht wieder dieser grimmige Typ. Unrasiert, wirres Haar, nackt. Nun ja, der Frühling ist in dem Leben auch schon ein paar Tage her. Das Haar ist grau meliert, es schimmert silbern, kurz gehalten, jetzt aber struppig wie das Gras auf der nahen Wiese. Zum Idealgewicht fehlen inzwischen ein paar Zentimeter.

Harte Arbeit in den nächsten 20 Minuten. Rasieren, duschen, Pflegeprodukte für den Mann, Gesichtsmassage, kämmen, fönen, stylen und, für die Eitelkeit, Linsen statt Brille. Fertig ist der Kerl.
Dabei ist doch Sonntag, eigentlich Zeit zum lange Schlafen und den Tag locker chillen.
Aber erstmal muss auch der Hund raus. Der hat sich noch nicht gemeldet. Liegt auf seinem Platz, die bernsteinfarbenen Augenbrauen zucken ein wenig, ein Auge ist halb geöffnet. Es sieht jedoch nur so aus, als würde er schlafen oder dösen. Er wartet auf das Geräusch. Das melodische Klimpern, wenn das Schlüsselbund vom Haken genommen wird. Aus dem Liegen geht es dann mit freudigen Sprüngen, schwanzwedelnd zur Wohnungstür. Nicht ohne, im Vorbeigehen, einen Abdruck der feuchten Hundenase auf einem Hosenbein zu hinterlassen.

Für Mann und Hund ist es gleichermassen schön hier, in ländlichem Gebiet und noch etwas ausserhalb vom Dorfkern zu wohnen. Rund um das Haus erstrecken sich weite Wiesen und Felder. Jetzt ist alles in das sanfte Licht der frühen Sonne getaucht. Die Regentropfen im Gras glitzern wie Diamanten. Im hohen Bogen fliegen sie davon, wenn der Hund, in seiner ausgelassenen Fröhlichkeit, mit grossen Sprüngen seine Bahn durch die Wiese zieht. Nur wenige Minuten und er ist pudelnass. Er liebt es.

Der Mann bleibt auf dem Weg. Für ihn ist allein schon der morgendliche Ausblick über die Wiesen, bis hin zum Waldrand eine Entspannung. Die vielen Grüntöne lassen sich kaum erfassen. Die meisten Blütenköpfe der Wiesenblumen sind noch halb oder ganz geschlossen. Am Waldrand steht ein Reh. Aufmerksam schaut es in Richtung Mensch und Hund. Der Wind steht günstig, es kann den Geruch der beiden nicht erfassen. Langsam senkt es den Kopf und trottet, gemächlich äsend zu Wald. Noch ein kurzer Blick zurück und es verschwindet hinter den Bäumen.

Am Bach wird ein kurzer Stop zum Wasserfassen eingelegt. Kalt und klar fliesst das Bächlein über ein paar Steine in der Nähe des Weges und bildet einen Mini Wasserfall, bevor es den Weg unterquert. Ein paar Schlucke sind erfrischend für die Beiden.
Der Heimweg geht in Richtung Sonne. Auf der Haut ist deutlich zu spüren, dass es wieder einer der richtig heissen Tage werden wird. Die Arbeiten, die es in nächster Zeit zu erledigen gilt, können ruhig ein bisschen aufgeschoben werden. Diesen Sonntag sollte man geniessen. Draussen frühstücken und dann etwas tun, was sich am besten auf den Liegen unter dem grossen Sonnenschirm erledigen lässt.
Vielleicht mal wieder was schreiben, so über einen Frühsommersonntag zum Beispiel …

 

Amadeus Stur

1 Kommentar

  1. Ciao André!
    Auf der Rückreise von Bernshausen, früher Sonntagmorgen: Soeben habe ich Franziska deine Kolumne über deinen Sonntagmorgen vorgelesen. Ein hübsches Gesamtbild malst du da. Gelassenheit und Sinn für die kleinen Dinge des Lebens, das ist Lebenskunst!
    Mach’s gut und lieber Gruss,
    Jürg

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