Ein natürliches und gesundes Tabu: Langzeitstillen

Die WHO empfiehlt, die ersten sechs Lebensmonate ausschließlich zu stillen.
StockSnap / Pixabay Die WHO empfiehlt, die ersten sechs Lebensmonate ausschließlich zu stillen.

„Was? Du stillst noch?“ – Viele Mütter, die ihr Kind über das erste Lebensjahr hinaus stillen, haben sich schon einmal mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Aber was bedeutet eigentlich Langzeitstillen? Wie lange ist Stillen normal und was raten Experten?

Was bedeutet Langzeitstillen?

Eine feste Definition des Langzeitstillens kann es nicht geben, oder besser gesagt: Sie variiert von Kultur zu Kultur und kann sich auch im Laufe der Jahre immer wieder anpassen. Grundsätzlich spricht man vom Langzeitstillen, wenn eine Mutter ihr Kind länger stillt, als allgemein üblich. Dabei gehen wir von einer durchschnittlichen Stilldauer aus, die in Deutschland bei rund 7,5 Monaten liegt. Die Ergebnisse einer in Deutschland durchgeführten Befragung zeigen, dass das Stillen von 15 Monate alten Kindern bereits als unüblich und lange gewertet wird.

Stillen – ein kontroverses Thema

Die Vorteile der Muttermilch sind eigentlich hinlänglich bekannt, trotzdem ist Stillen ein Thema, das immer wieder zu kontroversen Diskussionen führt. Während die einen darauf schwören, ihren Säugling nach Bedarf und so lange und oft wie möglich an die Brust zu legen, nehmen sich die anderen ehrgeizig vor, nach sechs oder zwölf Monaten abzustillen. Wieder andere können sich überhaupt nicht vorstellen, ihr Baby zu stillen und greifen gleich zur Flaschenmilch. Vorab: Ganz gleich, für welche Methode sich eine frischgebackene Mutter entscheidet – Stillen ist kein Indiz dafür, eine „bessere“ Mutter zu sein! Für jede Entscheidung gibt es Gründe, die jede Frau für sich abwägen muss.

Empfehlungen: Wie lange sollte eine Mutter stillen?

Für die empfohlene Stilldauer gibt es mehr oder weniger konkrete Empfehlungen von unterschiedlichen Seiten:

  • Die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lautet: Die ersten sechs Lebensmonate des Säuglings ausschließlich zu stillen. Die Einführung von Beikost sei kein Grund zum Abstillen. Über die Gabe von nach und nach eingeführten Mahlzeiten ist das Stillen über das zweite Lebensjahr hinaus empfohlen.
  • Die Nationale Stillkommission gibt als Dauer des ausschließlichen Stillens vor: „Beikost sollte in der Regel nicht später als zu Beginn des 7. Lebensmonats und keinesfalls vor dem Beginn des 5. Monats gegeben werden. Beikosteinführung bedeutet nicht Abstillen, sondern eine langsame Verminderung der Muttermilchmengen und Stillmahlzeiten. Mutter und Kind bestimmen gemeinsam, wann abgestillt wird.“
  • Laut einer Studie von britischen Forschern sollten Babys ab dem 4. Monat neben der Muttermilch Beikost bekommen. Das Risiko, unter Allergien und Eisenmangel zu leiden, vergrößere sich bei Kindern, die sechs Monate vollgestillt würden.

Diese Expertenmeinungen sind nicht in Stein gemeißelt und jede Mutter sollte für sich und ihren Schützling entscheiden, wie sie das Stillen gestaltet. Hinzu kommt, dass sich der Zeitpunkt, an dem sich das Baby für „feste“ Nahrung interessiert, von Kind zu Kind unterscheidet. Während die einen schon im Alter von vier Monaten nach Mamas Teller greifen, kneifen die anderen im Alter von sieben Monaten beim Anblick vom auf sie zukommenden Löffel mit leckerem Möhrchenbrei noch immer den Mund zusammen. Und während die einen die angebotene Brust schon mit neun Monaten verweigern, denken andere zweijährige Kleinkinder gar nicht daran, auf die Muttermilch zu verzichten.

Stillen ist das Beste für Babys und Kinder. Es ist aber kein Indiz dafür, eine bessere Mutter zu sein.
chrisvg / Pixabay Stillen ist das Beste für Babys und Kinder. Es ist aber kein Indiz dafür, eine bessere Mutter zu sein.

Ist ein Schnuller besser? – Kontroversen rund ums Langzeitstillen

„Langzeitstillende“ Mütter müssen sich häufig mit Vorwürfen und unangenehmen Fragen auseinandersetzen.

Trotz oder gerade weil Kinder lange gestillt werden, haben sie gute Chancen, zu selbstständigen und selbstbewussten Menschen heranzuwachsen. Für eine gute Entwicklung ist das Stillen nicht der einzige Aspekt. Genauso wenig ist es ausschließlich die Stillbeziehung, die eine gute Entwicklung zu hemmen vermag. Ein Kind, das seine eigene Individualität begreift, hat auch ein gesundes, soziales Umfeld, liebe- und respektvolle Eltern, Großeltern und erfahren Zuwendung sowie eine stabile Bindung durch Mutter und Vater.

Frauen, die über das erste Lebensjahr hinaus stillen, wird manchmal vorgeworfen, dass sie dies aus egoistischen Gründen tun würden. Die Entscheidung, wie lange ein Kind gestillt wird, liegt bei der Mutter und ihrem gestillten Kind. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einem „natürlichen Abstillalter“, das etwa zwischen dem 2. und dem 7. Lebensjahr liegt. Eine sehr vage Vorgabe, die es notwendig macht, auf die Signale des Kindes zu achten, sie zu deuten und zu respektieren. Wenn ein Kind sich aus eigenem Antrieb abstillt, dann liegt es an der Mutter, dies zu akzeptieren und ihren Schützling bei diesem Abnabelungsprozess zu unterstützen.

Wenn eine Mutter ihr Kind in der Öffentlichkeit stillt, insbesondere ein laufendes und sprechendes Kind, dann empfinden das manche Menschen als anstößig. Mit der weiblichen Brust wird nämlich nicht nur die „Futterstelle“ für Babys verbunden, sondern in erster Linie sexuelle Reize. Gerade langzeitstillende Mütter sind Profis, dezent im öffentlichen Raum zu stillen – darüber hinaus ist an der Stelle Selbstbewusstsein gefragt: Wir können nicht mal schnell das Verhalten unserer Mitmenschen ändern. Kommentare oder Bemerkungen (die viel anstößiger sind, als das Stillen in der Öffentlichkeit) können uns aber getrost egal sein.

Ist Stillen ein Schnullerersatz? Stillende Mütter dürften den gedanklichen Fehler in dieser Frage bereits entdeckt haben. Nicht die mütterliche Brust ist ein Ersatz für den Schnuller, sondern der Schnuller ersetzt die Brust. Viele Stillkinder brauchen ihn nicht, verweigern ihn oder nehmen ihn von Zeit zu Zeit ergänzend. Das Saugbedürfnis, das Kinder noch lange nach der „normalen“ Stilldauer haben, wird hervorragend durch die Brust gestillt.

Ein Kleinkind zu stillen stößt in der Öffentlichkeit häufig auf Kritik oder fragende Blicke.
luisfrps / Pixabay Ein Kleinkind zu stillen stößt in der Öffentlichkeit häufig auf Kritik oder fragende Blicke.

Ist eine langzeitstillende Mutter eine Übermutter?

Viele Gründe sprechen für das Stillen, während über die Dauer allein Mutter und Kind entscheiden. Da es für die Stilldauer keine Obergrenze gibt, reichen die persönlichen Umstände, der eigene Rhythmus und die eigene Überzeugung (und die des Kindes) aus, um den besten Zeitpunkt des Abstillens für sich festzulegen. Wir kommen zu dem Schluss, dass eine stillende Frau genauso wenig eine Übermutter, wie eine nicht-stillende eine Rabenmutter ist. Wer stillen möchte, aber nicht kann oder Stillprobleme hat, findet in ausgezeichneten „babyfreundlichen Krankenhäusern“ und bei der La Leche League Hilfe.

Verena Hohmann

 

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2 Kommentare

  1. Bei mir hat sich die Frage gar nicht gestellt, weil meine Kinder einfach keine künstlichen Sauger akzeptiert haben. Ist natürlich prima, wenn sie keine Schnuller brauchen, aber manchmal sehr unpraktisch, wenn sie partout nicht aus der Flasche trinken wollen. Jedenfalls ist es ein Thema, bei dem man sich auf keinen Fall zu sehr von außen beeinflussen lassen sollte. Wenn man seine eigenen Bedürfnisse übergeht, weil man „alles richtig machen“ will und dann vielleicht gestresst ist, schadet das dem Kind sicher mehr, als ein paar Fläschchen Fertigmilch 😉

    • Vielen Dank für deinen Kommentar! Vielleicht sollte man sich grundsätzlich von dem utopischen Gedanken verabschieden, „alles richtig zu machen“. Das ist wohl einer der besten Ratschläge, die eine junge Mutter bekommen kann. Ich glaube auch nicht, dass „ein paar Fläschchen Fertigmilch“ einem Baby schaden. Es ist nur schade, dass sich um das Thema Langzeitstillen so viele Halbwahrheiten und Gerüchte tummeln. Langzeitstillende Mütter haben es im öffentlichen Raum manchmal gar nicht so leicht, ihre Überzeugung selbstbewusst durchzusetzen. 😉

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