Offener Briefe zur Corona-Prämie von Pflegendem Angehörigen

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Offener Brief von Arnold Schnittger an Dr. Tschentscher

„Corona-Prämie in Hamburg
Offener Brief an den Bürgermeister: (bisschen lang, na ja …)
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Tschentscher,

bereits nach wenigen Monaten ist es Ihrem Senat nun doch gelungen, meinen Antrag auf Zahlung einer „Corona-Prämie“ zu bescheiden. Der Bescheid fiel erwartungsgemäß negativ aus, mit der Begründung:

„…ich gehöre nicht zu dem (…für die Prämie) berechtigten Personenkreis, die nur für Beschäftigte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen vorgesehen ist.“

Hat denn die Bearbeitung meines Antrages so lange gedauert, weil die Suche nach so einer abenteuerlichen Begründung so viel Zeit in Anspruch genommen hat?

Zur Erinnerung: Ihre damalige Gesundheitssenatorin versprach den „Pflegekräften“ die Zahlung einer Corona-Prämie in Höhe von 1.000 € plus einer Aufstockung auf 1.500 €, unabhängig von der späteren Finanzierung durch Pflegekasse oder staatliche Zuwendungen.

Als Vater, der seit 25 Jahren seinen mehrfach schwerstbehinderten Sohn pflegt und betreut, fühle ich mich mit dem Begriff „Pflegekraft“ durchaus angesprochen. Allerdings unterscheidet es sich in der Tat, ob man in einer „zugelassenen“ Pflegeeinrichtung pflegt oder zu Hause.

In einer „Einrichtung“ hätte ich nach 8 Stunden Feierabend, 5 Arbeitstage die Woche, Urlaub, Weihnachtsgeld und könnte mich auch mal krankschreiben lassen.

Als pflegender Angehöriger pflege ich rund-um-die-Uhr, 7 Tage die Woche, 30 Tage im Monat und 12 Monate im Jahr. Ohne Urlaub.

Allerdings möchte ich an dieser Stelle davor warnen, sich einen Konkurrenzkampf mit anderen Pflegekräften zu liefern.

Pflege ist kein Wettkampf, in dem wir gegeneinander antreten! ALLE, die pflegen, leisten einen hervorragenden Dienst an den zu Pflegenden. Und ALLE haben schlechte Rahmen- und Arbeitsbedingungen. Aber besonders katastrophal zeigt es sich bei den pflegenden Angehörigen, insbesondere durch die Corona-Pandemie, die die häusliche Pflege noch weiter verschärft hat.

Alle Unterstützungsleistungen sind weggebrochen. Es gab keine Therapien, keine Tagesförderungen, die, insbesondere für die geistig behinderten Menschen notwendigen sozialen Kontakte wurden untersagt – kurz: wir waren völlig auf uns allein gestellt. Sportliche Betätigungen – schwimmen, reiten etc. fielen weg. Davon waren auch andere Bürger betroffen. Aber bei uns ist Sport Therapie. Und keine Therapie bedeutet Rückschritt.

Zahlreiche Eltern erlebten diese gruselige Zeit auch an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Bei den pflegenden Angehörigen verschob sich diese Grenze bis ins Unerträgliche. Hinzu kam:

Wir wurden schlichtweg vergessen!
Wir waren nicht „systemrelevant“. Wir wurden nicht beklatscht. Wir waren einfach nicht da! Wir waren keine „Helden“, wir waren unsichtbar.
Und mit uns haben sie auch die vergessen, die gepflegt werden:
die Alten, die Kranken, die Behinderten …

Ich kann nicht für andere Betroffene sprechen. Aber ich weiß durch meine Kontakte, wie viel Verzweiflung und Not sich in diesen Zeiten ausgebreitet hat. Viele waren unsichtbar, weil sie sich nicht mehr auf die Straße trauten. Viele waren unsichtbar, weil sie ohnehin ausgebrannt waren. Ausgebrannt, wegen der vielen „Baustellen“, die es bereits im „normalen Leben“ zu bewältigen gilt. Es haben sich Dramen abgespielt! Notprogramme für die häusliche Pflege gab es nicht.

Auch Sie, Herr Bürgermeister, haben uns vergessen!

Der ständige Kampf gegen eine Ablehnungskultur der Krankenkassen und des medizinischen Dienstes. Die ewige Konfrontation und die behördliche Willkür und die permanente Sorge um die zu Pflegenden zermürbt und entkräftet viele der Betroffenen.

Kennen Sie, Herr Bürgermeister, den Begriff „Armut durch Pflege“?
Die Armut kommt, wenn man wegen der Pflege nicht mehr arbeiten kann. Dann gibt’s Hartz-IV und einen unwürdigen Umgang mit den Behörden.
Auch mit IHREN Behörden!

Und wenn man lange genug pflegt, ist auch die Rente futsch. Dann gibt’s aufstockende Grundsicherung.

Abschließend aber gibt es dann, wie in Ihrem Senatsschreiben an mich zum Ausdruck gebracht, das berühmte Schulterklopfen:

„…, dass wir Ihre Leistungen und Ihr Engagement bei der pflegerischen Versorgung Ihres Sohnes anerkennen und wertschätzen. Die Pflege und Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen zu übernehmen, ist eine große Aufgabe und verlangt zudem auch persönliche Hingabe.“

Ist das nicht ein bisschen mager? Nee, Sie erkennen überhaupt nichts an! Sie wertschätzen auch nicht den größten Pflegedienst der Nation: die pflegenden Angehörigen! Sie grenzen weiterhin aus, wenn Sie den Betroffenen die ihnen zustehende Corona-Prämie verweigern und sie auch weiterhin im Unsichtbaren belassen.

Ihr Kollege Karl-Josef Laumann hat die politische Wertschätzung in der Sendung „hart aber fair“ auf den Punkt gebracht, indem er sinngemäß sagte, pflegende Angehörige seien ja selber schuld. Sollen sie doch andere pflegen lassen.

Und ihre andere Kollegin, Frau Dr. Giffey, sagte, auf das Krankenhauspersonal angesprochen, die auch nicht die zuvor in Aussicht gestellte Prämie erhalten, es wäre ungerecht, weil das Pflegepersonal in den Pflegeheimen ohnehin weniger Gehalt bekommt.

Wäre nach dieser Logik nicht auch ein Ausgleich für pflegende Angehörige, angebracht? (Auch bei dieser Fragestellung waren diese auch wieder einmal nicht relevant)

Weiterhin schreiben Sie mir:

„Für Ihren Einsatz danken wir sehr!“

Das ist dreist! Selten habe ich mich so verschaukelt gefühlt!

Wie geht es nun weiter? Wir bleiben in Verbindung, das ist doch klar! Demnächst erhalten Sie meinen Widerspruch gegen Ihre Entscheidung. Ich vermute, der wird ebenso negativ beschieden werden. Dann wären die Gerichte gefordert, den pflegenden Angehörigen endlich die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die die Politik ihnen verwehrt.

Schauen wir mal!

Und noch mal ganz zum Schluss:
„nur für Beschäftigte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen…“
Was ist eigentlich mit den Pflegerinnen und Pflegern, die Menschen mit Behinderungen in den „Behinderteneinrichtungen“ pflegen???
Nicht systemrelevant?

Ich freue mich auf Ihre Antwort!

Herzlichst, Ihr
Arnold Schnittger“

 

 

Anmerkung der Redaktion:

 

 

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