Hochleistungssport häusliche Pflege

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Häusliche, private Pflege ist Hochleistungssport für die Pflegenden. Gleichzeitig eine Leistung, die von der Gesellschaft kaum anerkannt wird. Besonders das Nervenkostüm und die Psyche werden extrem gefordert. Bei älteren Pflegenden und selbst Erkrankten bedeutet Pflege auch Raubbau an der Gesundheit.

Die häusliche, private Pflege, meist von Angehörigen ausgeführt, bleibt das Stiefkind des Gesundheitssystems. Wenig beachtet, kritisch beäugt, viel kritisiert und oft gegängelt. Pflegende Angehörige werden nicht auf einer Ebene mit professionellen Pflegekräften behandelt und eingeordnet, leisten zuhause aber die gleiche Arbeit an ihrem Patienten und das meist 24 Stunden am Tag.

Wer einen Angehörigen pflegt, hat sich nicht immer frei heraus dafür entschieden, wie Außenstehende gerne denken und es sich so zurechtlegen. Sondern: Es passiert einfach! Zum Beispiel, indem eine Familienmitglied einen Schlaganfall erleidet und nach KH und Reha Pflege bedarf. Oft ist auch gar noch nicht abzusehen, ob der Patient sich wieder regeneriert oder nicht. Auch Unfälle können plötzliche Einschnitte im Familienleben bedeuten und zur Folge haben, dass Minderjährige plötzlich Vater oder Mutter pflegen. Es kann im Grunde jeden jederzeit treffen:
Jeder kann urplötzlich Pflegling werden oder muss selbst pflegen! 

“Warum nehmt ihr keinen Pflegedienst? Warum gebt ihr ihn nicht ins Heim?”

Es sind diese Fragen, die Pflegende Angehörige immer wieder zu hören bekommen und sie zeigen, dass Außenstehende oft rein gar keine Ahnung haben. Oder wissen sie, dass ein täglicher Pflegedienst so viel kostet, dass der Patient sein gesamtes Pflegegeld dafür verbraucht, noch dazu zahlen muss und am Ende noch nicht mal 24-h betreut ist? Ein Pflegedienst kommt meist morgens und abends zur Wäsche, Windelnwechseln etc, Wundversorgung und Umziehen vorbei. Den Rest des Tages muss der Pflegling schauen wie er klar kommt. Zusätzlich kann er noch jemand beauftragen, der ihm essen macht und bringt. Aber von Betreuung kann keine Rede sein. Die ganze Nacht und die restliche Zeit des Tages braucht der Pflegling jemanden, der ihm hilft, z.B. beim Toilettengang, bei Beschwerden und der ihm alles mögliche bringt, was jeder Mensch am Tag so braucht.

Viele Senioren und natürlich auch jüngere Kranke und Behinderte sind nicht mal eben in der Lage sich etwas zu essen oder zu trinken zwischendurch zu holen. Auch aufkommende Schmerzen wollen schnell gelindert werden und können nicht verschoben werden, bis der Pflegedienst wieder da ist.

Sich also vorzustellen, dass mit einem Pflegedienst einen Patienten ab Pflegegrad 3 ausreichend versorgt und dieser außer Gefahr wäre, ist äußerst naiv. Zieht man einen Pflegedienst hinzu, wird einem zwar das Waschen und Umziehen sowie gesundheitliche Versorgungen wie Katheterwechsel, Überprüfung von Infusionen etc. abgenommen – der Pflegende Angehörige bleibt aber weiter der Hauptansprechpartner und muss die restliche Zeit zur Verfügung stehen und das dann oft noch ohne etwas vom Pflegegeld zu bekommen.

Aus diesem Grund entscheiden sich viele Pflegenden Angehörigen, eben KEINEN Pflegedienst zu beauftragen. Weil sie dann die restliche Zeit unentgeltlich pflegen und parat stehen müssen! Und das heißt für viele Pflegenden Angehörigen, dass keine Berufsausübung mehr möglich ist! 

Glücklich schätzt sich zwar jeder Pflegende Angehörige, der doch noch nebenbei arbeiten und Geld verdienen kann. Denn so ruiniert er sich nicht selbst vollkommen finanziell – und er hat Ablenkung vom Pflegealltag. Aber in Wahrheit bedeutet dies auch: Doppelte Belastung! Wenn andere nach dem Job erstmal sich um sich selbst kümmern können, ihre Dinge erledigen, kochen, aufräumen und entspannen – muss der Pflegende Angehörige sich erstmal um den Pflegling kümmern! Und dieser ist nicht unbedingt in bester Verfassung, wenn er mehrere Stunden alleine war.

Warum ist ein Heim für viele Pflegende Angehörige keine Option? 

Es ist immer so leicht dahin gesagt: “Warum gebt ihr ihn/sie nicht ins Heim?”. Das ist leicht, wenn es sich nicht um einen eigenen Familienangehörigen handelt, sondern um Fremde. Jeder, der schon mal Vater, Mutter, Großeltern oder noch schlimmer – jüngere Verwandte – in ein Heim gegeben hat, weiß, welche großen Konflikte und welch Unbehagen damit einher gehen! Und die Sorge hört deswegen nicht auf. Nicht alle Heime sind gut, nicht alle Betroffenen machen gute Erfahrungen mit Heimen. Aber selbst wenn das Heim gut ist, so ist es nicht mehr das gewohnte Zuhause des Angehörigen. Und wir müssen nicht im Ernst erklären, was alles zuhause angenehmer ist.

Zu den Sorgen, der Ungewissheit, ob es dem Angehörigen wirklich gut geht, er gut versorgt ist, er ausreichend gepflegt und nicht etwa vernachlässigt wird, kommen die finanziellen Belange. Die Heime kosten im Schnitt monatlich 3000 €. Die Krankenkasse zahlt nur einen Teil davon und so sind es schon mal 2000 €, die der Patient selbst aufbringen muss. Das kann sich nicht jede Familie leisten.

Mann schiebt Frau im Rollstuhl, Pflege.
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“Aber man bekommt doch Pflegegeld!”-“Pflegende bereichern sich doch nur”

Auch diese Argumente werden oft eingeworfen, wenn es um die Rechte der Pflegenden geht. Aber die Leute, die so argumentieren, wissen nicht wie wenig Pflegegeld die Pflegenden Angehörigen bekommen.

Hier eine kleine Auflistung:

Pflegegrad Pflegegeld pro Monat Pflegesachleistung pro Monat Entlastungsbeitrag pro Monat
1   –  125 €
2  316 €  689 €  125 €
3  545 €  1298 €  125 €
4  728 €  1612 €  125 €
5  901 €  1995 €  125 €

Das bedeutet im Alltag: Der Pflegende Angehörige bekommt 545 € im Monat, dafür dass er einen Patienten mit Pflegegrad 3 rund um die Uhr betreut! Denn Pflegegrad 3 bedeutet meist Rollstuhl und sich nicht mehr selbst versorgen können.

Die Pflegesachleistungen zahlt die Pflegekasse den Patienten nur, wenn sie Pflegedienste in Anspruch nehmen. Diese sind aber so teuer, dass ein Großteil der Summe schnell aufgebraucht wird. Wenn noch ein Rest übrig ist und der Patient nicht sogar noch privat dazuzahlen muss, so bekommt der Pflegende Angehörige vom Restgeld noch 30 % ausgezahlt, was, wie man sich denken kann, blanker Hohn ist. Aus diesem Grunde nehmen viele Pflegende Angehörige keinen Pflegedienst in Anspruch, auch wenn sie mit ihren Kräften schon am Ende sind. Denn sie können es sich schlichtweg nicht leisten völlig unentgeltlich oder für Peanuts wie 150 €/Monat Tag und Nacht im Dienst zu sein.

Wer einen Pflegegrad 5 zuhause hat, sollte von niemandem um die 901 € Pflegegeld beneidet werden. Denn in diesem Zustand sind die Patienten auf Dauerversorgung auch in medizinischer Hinsicht mit Sauerstoffgeräten, Infusionen etc. angewiesen.

Die 125 € Entlastungsbeitrag dürfen für Haushaltshilfen, Gartenarbeiten, Einkaufsdienste etc. verwendet werden. Die Summe ist dafür aber viel zu niedrig und hat zudem den Haken, dass nur Dienstleister in Anspruch genommen werden, die mit der Pflegekasse kooperieren bzw. für Pflegebedürftige ausgebildet sind. Normale Putzfrauen, Gärtner dürfen nicht beauftragt werden. Das bedeutet, dass vielerorts es gar keinen Dienst gibt oder, dass ein so hoher Stundenlohn verrechnet wird, dass kaum etwas geschafft werden kann für 125 € monatlich. Aus diesem Grund lassen viele Pflegende Angehörigen diesen Betrag verfallen, obwohl sie dringendst Hilfe und Unterstützung bräuchten.

Ewiger Kampf mit Krankenkasse und Pflegekasse

Als ob die emotionale, nervliche und körperliche Belastung durch die Pflege nicht schon genug wären, hat der Pflegende Angehörige lauter bürokratische Hürden zu bewältigen und muss sich mit misstrauischen Mitarbeitern der Kassen abärgern.
Dringend benötigte Hilfsmittel wie ein Toilettenrollstuhl, ein Pflegebett werden nur nach mehrmaligen Hin und Her mit den Kassen bewilligt und dann muss der Pflegling oft noch wochenlang darauf warten!

Bei jedem Hilfsmittel, jeder Maßnahme muss sich ein Pflegender Angehöriger fühlen/behandeln lassen wie ein Bittsteller oder ein Schmarotzer, der die Kasse nur ausnutzen will. Oft fühlt es sich an, als wäre man ein Verbrecher auf Bewährung, der erst noch beweisen muss, dass er nicht betrügt. Die telefonische Auskunft der Krankenkasse sowie viele Beratungen sind nicht Pro-Angehörigen, sondern Pro-Kasse. Es soll gespart werden, wo es nur geht und der Patient und sein Pflegender Angehöriger gelten grundsätzlich als eher verdächtig und sich bereichernd.

Sind die Hilfsmittel einmal zuhause angekommen oder der Badausbau ist getätigt, so ist noch lange nicht Ruhe im Pflegealltag eingekehrt, denn oft wird ein unpassendes Hilfsmittel geliefert, so dass man auf ein Neues wieder Wochen warten muss. Beim Badausbau kann einiges schief gehen, indem falsch geplant wurde und man beispielsweise gar nicht in die Wände bohren kann, um Halterungen zu befestigen. Oder, die Toilette ist so hoch, dass kein Toilettenstuhl mehr darüber passt. Von einem reibungslosen Verlauf kann jedenfalls keine Rede sein.

All diese Belastungen hat der Pflegende Angehörige zusätzlich zu tragen! Und noch immer reicht es nicht. Denn für alles müssen Anträge gestellt werden und es gibt lauter schriftliches Hin und Her, was zum einen nicht jedem liegt, zum anderen für Ältere Pflegende Angehörige eine einzige Zumutung ist.

Auch der MDK, der medizinische Dienst, versucht meist den Pflegegrad der Patienten künstlich zu drücken, indem die Informationen durch die Angehörigen einfach ignoriert und geschönt werden. Oft hat die Einstufung des Patienten mit der Realität wenig gemein, sodass wieder aufwendig Widerspruch eingelegt werden muss und ein neuer Termin vereinbart wird. Zudem darf der Pflegende Angehörige sich wie ein Lügner und Betrüger fühlen, wenn er auf einen höheren Pflegegrad besteht, während er schon längst am Limit seiner Kräfte ist.

Das ganze Pflegesystem arbeitet im Grunde GEGEN die Pflegenden Angehörigen, während gleichzeitig unser ganzes Land auf diesen “Größten Pflegedienst Deutschlands” angewiesen ist. Die Medien betonen zwar, dass 75 % der Pflegebedürftigen zuhause gepflegt werden, aber sie tun kaum etwas für sie und sorgen nicht dafür, dass sie nicht selbst an der Pflege kaputt gehen oder sich ruinieren. Alle Hilfen, ob finanzieller oder organisatorischer Form wie Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege sind nur Tropfen auf dem heißen Stein und auch sie sind mit so viel Aufwand und Hürden behaftet, dass sie den Pflegenden Angehörigen wieder nur unnötig Zeit und Kraft kosten.

Wenn man bedenkt, dass es oft ältere Ehepartner sind, die pflegen, ist dies alles eine einzige Zumutung.

 

Zur Unterstützung für alle Pflegenden Angehörigen gibt es einen Verein und eine dazugehörige Pflegegruppe auf Facebook:

https://pflegende-angehoerige-ev.de/

https://www.facebook.com/groups/167270753432104/

Verein und Facebook-Gruppe werden mit viel Herzblut und Engagement von Kornelia Schmid geleitet, die seit vielen Jahren ihren schwerst pflegebedürftigen Ehemann zuhause pflegt. Die Gruppe findet stets neuen Zulauf, hat aktuell fast 10.000 Mitglieder, die sich täglich über die Mühsal der häuslichen Pflege mit wertvollen Tipps austauschen. Der Verein braucht noch mehr aktive Mitglieder, damit gemeinsam etwas für die Millionen Betroffenen in diesem Land getan wird!

 
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