In Westeuropa sind Tattoos längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber neu ist diese Art des Körperschmucks keinesfalls und auch das Schmuddel-Image, das Knastbrüder oder Seemänner den Zeichnungen auf der Haut einmal gaben, sind nur eine kurze Epoche in der Tattoo-Geschichte.
Schon in der Antike gab es Tätowierungen. Auch die Mumie des in den Ötztaler Alpen gefundenen Mannes aus der Jungsteinzeit, bekannt als Ötzi, weißt Forschern zu Folge 61 Tattoos mit geometrischen Formen und Figuren auf. Heute gehören stolz zur Schau getragene Tattoos in vielen Ländern wieder ganz selbstverständlich zum Gesellschaftsbild. In Japan hingegen sind Tattoos seit Langem geächtet, obwohl es gerade dort eine ganz eigene Tradition der permanenten Körperbemalung gibt.
Bei einer nicht repräsentativen Umfrage gaben lediglich 2% der befragten Japaner an, ein Tattoo zu haben. In Deutschland hatten zum Vergleich bei einer ähnlichen Umfrage 28% der Befragten das Tragen eines Tattoos bejaht. Im täglichen Leben, bei der Arbeit, bei offiziellen Terminen und insbesondere bei Vorstellungsgesprächen verbergen auch die wenigen tätowierten Japaner ihre Kunstwerke akribisch, sie befürchten daraus berufliche Nachteile zu haben. Die meisten Badeanstalten und Hotels verbieten Tattoo-Trägern den Zutritt zu den Pools oder verlangen zumindest, dass die bunten Bildchen abgeklebt werden. Das war nicht immer so.
Die Tradition des Irezumi
Erlebt man die heutige restriktive Haltung vieler Japaner gegenüber Tattoos, würde man nicht erwarten, dass gerade Japan eine lange Tattoo-Tradition hat. Irezumi ist das japanische Wort für Tattoo und steht für von Hand gestochene traditionelle Motive. Motive und Technik folgen dabei bis heute einer speziellen Schule, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Gestochen wird mit Nadeln aus Holz und Metall, sowie einer speziellen Farbe, die Nara-Tinte, die unter der Haut einen grün-blauen Stich bekommt. Häufig wiederkehrende Motive sind die Kirschblüte, Drachen und Koi-Karpfen, Symbole der Schönheit, von Aufbruch, aber auch Vergänglichkeit.
Horishi-Meister und ihre Schüler
Wie bei Kampfsportarten beruht das System der Horishi, der traditionellen Tattoo-Künstler, auf dem Meister-Schüler-Prinzip. Der Schüler geht über eine lange Zeit bei seinem Meister in die Lehre, um dessen Kunstfertigkeit zu studieren und am Ende zu übertreffen. Die japanische Tattoo-Tradition diente früher sowohl dekorativen, wie auch spirituellen Zwecken und lässt sich bis zur Jomōn-Ära zurückverfolgen, also in weit vorchristliche Zeiten. Typisch für die Irezumi-Tattoos der Horishi-Meister war und ist bis heute der Body-Suit, ein den ganzen Körper wie ein Anzug bedeckendes zusammenhängendes Tattoo, an dessen Vervollständigung der Tätowierer jahrelang in wöchentlichen Sitzungen arbeitet. Anders als in Europa, wo Tätowierer sich häufig als Dienstleister für die Wünsche des Kunden verstehen, fühlen sich die verbliebenen japanischen Irezumi-Künstler vor allem ihrer Kunst verpflichtet und lehnen Anfragen, die ihrer Tradition widersprechen ab.
Erkennungszeichen der Mafia
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Künstler des Irezumi gesellschaftlich wohl geachtet und ihre Werke als Kunstform anerkannt. Das Tragen der traditionellen Motive war eine Ehre für den Tätowierten. Erst der japanische Kaiser Tennōs Mutsuhito, dessen Regenschaft in der Meiji-Ära von 1868 bis 1912 reicht, trieb die Ächtung der Tattoos und ihrer Träger voran. Das Tragen des Körperschmucks bekam durch die kaiserliche Stigmatisierung einen kriminellen Beigeschmack.
Tattoos wurden zum Erkennungszeichen der Yakuza, einer mafiaähnlichen kriminellen Vereinigung, und schon aus diesem Grund von der bürgerlichen Gesellschaft gemieden. Die Nachwirkungen reichen bis in die Gegenwart und bewirken, dass die wenigen noch der alten Horishi-Kunst verpflichteten Tätowierer in Japan ein Schattendasein führen. Dennoch gibt es eine Subkultur, die in Hinterhöfen und Underground-Clubs und im Exil zum Beispiel in der liberalen Schweiz die Tradition fortführt.
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http://www.irezumi.us/en/hori-shi.html
Bleiben Sie dran: Unsere Autoren starten hiermit eine kleine Serie zu Tattoos!
Veronika Lackerbauer lebt und schreibt in der Nähe von Landshut, Niederbayern. Sie ist Diplom-Kauffrau für Tourismus und hat einen Master in European Studies, seit 2013 arbeitet sie als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache und berufliche Integration. Ihre wahre Leidenschaft ist jedoch das Schreiben. 2014 debütierte sie mit ihrem Fantasy-Roman „Burgfried“ im Verlag ohneohren. Neben Fantasy schreibt Veronika auch Regional-Krimis, historische Romane und Kurzgeschichten.
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