Seitdem es Heilpflanzen auch in Saft- oder Tablettenform zu kaufen gibt, sind sie aus den meisten Gärten verschwunden. Geblieben sind oft nur Kräuter, die kulinarisch oder optisch interessant sind. Etwas größere Vielfalt herrscht in alten Bauern- oder Klostergärten sowie in Apothekergärten, die in Freilichtmuseen oder in Botanischen Sammlungen das Heilpflanzensortiment repräsentieren. Hier kann man historische Kräuterschätze aufspüren, die kaum noch bekannt sind. So wie den Andorn (Marrubium vulgare), eine ausdauernde Pflanze mit nesselartigen Blättern. Zwischen Mai und August trägt sie kleine weiße Blüten in sogenannten Scheinquirlen, welche in Abständen entlang der Stängel angeordnet sind. Trotz ihrer leicht exotischen Erscheinung ist die Pflanze aus der Lippenblütler-Familie kein großer Blickfang. Beeindruckend ist allerdings die Liste der ihr nachgesagten Wirkungen.
Hildegard von Bingen empfiehlt den Andorn
Obwohl der ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammenden Pflanze vielseitige Heilkräfte nachgesagt werden, ist sie ein wenig in Vergessenheit geraten. Wer sich mit dem Werk der katholischen Heiligen und Universalgelehrten Hildegard von Bingen befasst, dürfte das Kraut aber kennen. Von Hildegard überliefert ist ein Rezept für Andornwein. Dieser soll hustenlösend wirken. Bei chronischer Rachenentzündung oder Kehlkopferkrankungen empfiehlt Hildegard eine Andorn-Rahm-Suppe. Zur Herstellung von Wickeln gegen Ohrenleiden soll sich das Kraut ebenfalls gut eignen.
Viele Namen und vielversprechende Inhaltsstoffe
Mariennessel, Berghopfen, Helfkraut – wie viele alte Heilpflanzen ist auch der Andorn noch unter zahlreichen weiteren Namen bekannt. Hauptsächlich wird er als Hustenmittel und zur Unterstützung der Leber- und Gallentätigkeit eingesetzt, außerdem zur Stärkung der Abwehrkräfte. Das Kraut gilt als schweiß- und harntreibend, appetitanregend und soll die Magen- und Darmfunktion fördern. Üblicherweise wird dazu ein Teeaufguss aus den Pflanzenteilen hergestellt, welche Gerbstoffe, Harze und ätherisches Öl enthalten.
Der hohe Gehalt an Bitterstoffen ist allerdings nicht bei allen Anwendern beliebt. In Albanien ist es üblich, Andorntee mit einer Feige und einem Lorbeerblatt zu kochen. Dadurch soll der Geschmack etwas abgemildert werden. Anderswo sind die Bitterstoffe wiederum erwünscht. Einigen traditionellen Biersorten wurde Andorn-Extrakt zugesetzt. Im englischsprachigen Raum ist ein Softdrink namens Horehound Beer bekannt, der mit Andorn (Horehound) versetzt ist.
Die Arzneipflanze des Jahres wird alljährlich vom Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde der Universität Würzburg ausgerufen. 2017 fiel die Wahl auf den Hafer, Arzneipflanze des Jahres 2018 ist der Andorn.
Eine geschichtsträchtige Heilpflanze
Die Pflanze und ihre Anwendung sind seit über 2000 Jahren dokumentiert. Eines der ältesten schriftlichen Zeugnisse der Gartenkultur in Deutschland ist der Liber de cultura hortum (Buch über die Kulturen der Gärten), welches im 9. Jahrhundert verfasst wurde. Das auch als „Hortulus“ bekannte Werk entstammt der Feder des Benediktiners Walahfrid Strabo. In Gedichtform sind darin 24 Heilkräuter und ihre Eigenschaften sowie Tipps zum Anbau beschrieben. Darunter auch der Andorn, der als eine der wichtigsten Heilpflanzen des Mittelalters gilt. Strabos Wirkungskreis war das Kloster auf der Bodenseeinsel Reichenau, wo er von 838 bis 849 Abt war. Am dortigen Münster St. Maria und Markus wurde Strabos Kräutergarten nach historischen Aufzeichnungen 1991 rekonstruiert. Der Kräutergarten, in dem alle 24 Pflanzen aus dem „Hortulus“ wachsen, ist ganzjährig frei zugänglich.
Ein Kräuterbeet gestalten mit Andorn
Andorn punktet vor allem als Blattschmuckpflanze. Die Blüten sind relativ unscheinbar, die kugeligen Samenstände fallen hingegen schon etwas mehr auf. Wenn Sie Andorn geschickt mit anderen Kräutern oder Blumen kombinieren, können Sie damit spannende Pflanzbilder gestalten. Dabei ist wichtig, dass die Partnerpflanzen ähnliche Ansprüche an Boden und Standort haben. Ideale Kombinationspartner sind mediterrane Kräuter oder sonnenliebende Stauden, welche magere Böden bevorzugen. Die dunkelgrünen Andornblätter bilden einen tollen Kontrast zu graulaubigen Gewächsen wie Lavendel oder Currykraut. Zwischen bunten Sommerblumen ist der nahezu immergrüne Halbstrauch ein stabiler Ruhepol. Die Blüten sind eine gute Bienenweide. Beste Erntezeit für das Kraut ist zwischen Juni und September. Verwendet werden vor allem Blätter, Blüten und die frischen Triebspitzen.
Andornpflanzen sind in gut sortierten Stauden- oder Kräutergärtnereien erhältlich, Saatgut wird ebenfalls angeboten. In Spezialgärtnereien werden auch besondere Züchtungen gehandelt, beispielsweise Marrubium vulgare ‘Green Pompon’. Diese Sorte entwickelt größere Blütenstände und ist deshalb auch für die Floristik interessant. Ob man ihn nun erntet und verarbeitet oder sich einfach nur an seinem Anblick erfreut – der Andorn hat in jedem Fall einen Platz in unseren Gärten verdient!
Martina Meidinger
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Martina Meidinger ist Landschaftsgärtnerin und freiberufliche Autorin. 2009 hat sie den Gartenkulturführer gegründet, ein Veranstaltungsmagazin für Gartentermine in Bayern. Ihre Texte rund um Garten, Pflanze und Natur erscheinen in Büchern, Magazinen und in ihrem Blog.
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