Patchwork war lange Zeit nur etwas für traditionsliebende Gemüter und geschickte Hobbynäherinnen. Doch die britische Designerin Lisa Whatmough revolutioniert mit ihren schrill-bunten, stilsicher gestalteten Sofas und Egg Chairs unsere festgefahrenen Vorstellungen. Dank ihr wird der jahrhundertealten Handwerkskunst seit einigen Jahren neuer Zeitgeist eingehaucht. Innerhalb kurzer Zeit wurde sie in England zur Trendsetterin und beliefert weltweit Fans und prominente Kunden mit Polstermöbeln, die man schwerlich übersehen kann. Namhafte Mode-Designer wie Christian Louboutin entwickeln mit ihr gemeinsam neuartige Muster und Prints für Schuhe und Kleidung.
Patchwork, das ist ein traditionsreiches Handwerk, bei der Stoffreste aneinander genäht werden, um farbenfrohe Decken und Wandbehänge herzustellen. Recht unpraktisch für moderne Wohnverhältnisse, oder? Aber Lisa Whatmough hatte gar nicht vor, sich an althergebrachte Traditionen zu wagen, sie bezog einfach nach Lust und Laune klassische Möbel, Spiegelrahmen oder Lampenschirme mit ausgesucht wild gemusterten Stoffstücken und schuf einen unverwechselbar launigen zeitgemäßen Patchworkstyle, der ihr recht schnell zu beachtlichem Ruhm verhalf. Alles begann mit verschiedenen Kollektionen für das renommierte Londoner Kaufhaus Liberty, das seit jeher auf der Suche nach außergewöhnlichen Designerstücken ist.
Wie kam es historisch betrachtet zum Patchwork?
Eine kleine Rückblende: Die Idee der Stoffstückeverarbeitung ist mehr als 3000 Jahre alt und kam ursprünglich aus dem Orient, nämlich Ägypten. Später schauten sich Händler aus China und Japan diese Arbeiten ab und brachten Exemplare bis nach Deutschland. Im 11. Jahrhundert überlieferten Kreuzfahrer die Handwerkskunst nach England, enorm beeindruckt von den dekorativen Bannern und Zelten der Sarazenen. So begann die traditionsreiche englische Geschichte der Quilts.
Zunächst wurden ausschließlich klerikale Gewänder und Wandbehänge aus verschiedenen Stoffstücken genäht, bis dann im 16. Jahrhundert malerisch gestaltete Quilts als Kälteschutz in den zugigen Burgen und Häusern oder als wärmende Bettdecken dienten. Kurzzeitig wurde gequiltete Kleidung im 18. Jahrhundert sogar zum Modehit. Wieder ein Jahrhundert später lernten die Mädchen in den höheren Schichten Quilts für ihre Aussteuer zu nähen. Dabei wurden spezielle Motive, Tricks und Fertigkeiten von Generation zu Generation weitergegeben und natürlich arbeitete jede adelige Familie ihre eigenen Symbole und Wappen ein.
In der Neuzeit ist das Quilten eine textile Kunstrichtung geworden, die viele begeisterte Anhänger auf der ganzen Welt erfreut und mit Wettbewerben und Ausstellungen ständig neu belebt wird.
Lisa Whatmough stückelt kaleidoskopisch buntgenau
Mit den traditionellen Vorstellungen vom Quilten, historischen Motiven und Hobby-Schneiderei haben die Design-Möbelstücke von Lisa Whatmough wirklich nicht mehr viel gemeinsam. Ihre Vorlieben für kräftige moderne Farbnuancen, antike Muster und poppige Streifen-Dessins geben jedem Sofa, Sessel, Bett oder Lampenschirm den typischen Squint-Stil.
Squint – so heißt ihr kleines erfolgreiches Designunternehmen in London und der Begriff ist Name und Programm zugleich. Übersetzt heißt Squint so viel wie schielen, blinzeln oder die Augen zusammenkneifen. Macht man dies, bekommt man eine andere visuelle Wahrnehmung von Farben und Formen. Diese Technik hatte Whatmough einst während ihres Malereistudiums von einem ihrer Lehrer gelernt und auf das künstlerische Zusammenstellen von verschiedenfarbigen Stoffstücken übertragen.
Warum die einzelnen Möbelstücke und Accessoires so stimmig wirken, kann man sich als Betrachter kaum erklären. Wie von Zauberhand gemixt, passen die unterschiedlichsten Dessins – ob grafische Muster, romantische florale Ornamente, Unifarbenes oder antike Motive – auf ihren fertigen Möbelstücken zusammen und bilden ein harmonisches kaleidoskopisch schillerndes Ganzes, dessen bunte Existenz man regelrecht als naturgegeben akzeptiert. Versucht man ein geheimes Muster oder eine Regel zu finden, muss man scheitern. Manche Stücke wirken so harmonisch, weil beispielsweise ein kräftiges Pink an verschiedenen Stellen wiederkehrt, andere aber sind über die gesamte Sitz- oder Liegefläche nur mit einen einzigen Stoffstück bezogen und passen trotzdem genau ins Gesamtbild. Wie Whatmough ihre Stoffe zusammenstellt und überhaupt erst auswählt, bleibt ein Rätsel. Tatsache ist: Es gibt kein Stück aus ihrer Kollektion, das auch nur annähernd an eine Stoffreste-Verwertung erinnert.
Für einzelne Kunden macht Whatmough auch mal Kompromisse und verarbeitet alte Kinderkleidung oder Großmutters Vorhang. Antike Erbstücke bezieht sie auf speziellen Wunsch neu, vorausgesetzt sie haben das gewisse Etwas, denn: „Aus einer langweiligen Kommode kann ich keine Diva machen.“(L. Whatmough).
Bescheidenes Gemüt mit opulentem Geschmack
Extravagant und aufsehenerregend sind ihre farbexplosiven Möbelstücke – doch Lisa Whatmough selbst ist bei all ihrem Erfolg sehr bescheiden und bodenständig geblieben. Noch ist es nicht lange her, da konnte sie sich ihre eigen entworfenen Möbel selber nicht leisten. Auf die Frage, was sie als Möbeldesignerin und Künstlerin mit dem Begriff „Heim“ assoziiert, antwortet sie überraschend:
„Home is where you feel comfortable. It’s not a precious show home but a place where dogs can jump on the sofa and you can put your feet up.“
Ein Heim ist, wo man sich wohl und behaglich fühlt, wo der Hund mal auf das Sofa springen darf und man gemütlich essen kann. Ein fein herausgeputzter Ausstellungsraum ist nichts für sie. Auch hängt sie trotz ihrer Liebe zum künstlerischen Objekt nicht so sehr an den Dingen. Freunde und Familie haben oberste Priorität und kein Gegenstand hat einen Dauerplatz in ihrem Herzen. Vielleicht bleibt gerade dadurch ihr Geist so frisch und unbelastet für neue Farbwunder-Kreationen.
Entsprechend dem Grundsatz, ihre Möbel sollen behaglich sein und den Alltag bestehen, werden nur wenige Stücke auf Kundenwunsch mit so empfindlichen Seiden-Stoffen bezogen, dass sie keine britische Tee-Einladung fleckenfrei überleben würden. Für Hotels und Empfangsräume wählt Whatmough sogar extra langlebige resistente Stoffe, damit möglichst viele Menschen ihre Designkunst real erleben können und gerade auch solche, die sich teure Unikate nicht leisten können.
Das Material für die kunterbunten Bezüge ordert Whatmough bei ihren beiden Lieblingsherstellern Osborne & Little und Designers Guild. Beide Unternehmen sind in England Inbegriff für herausragend schöne Vintage-Dessins von Stoffen und Tapeten. Diese erinnern die Künstlerin an den Beginn ihrer Karriere, als sie bei ihren Streifzügen über britische Flohmärkte eines Tages eine Tüte voller klassisch gemusterter Stoffe kaufte. Wenig später fand sie noch einen verschnörkelten alten Rokokospiegel und begann zuhause – völlig unausgebildet im näherischen Handwerk – den Spiegelrahmen mit ausgesuchten Stoffstücken zu bekleben. Heute gehören die bunt umrahmten Spiegel zum Standardsortiment von Squint.
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Die umtriebige 46-jährige, deren Kleidungsstil ebenfalls recht farbenfroh und ausgefallen ist, kommt selten zur Ruhe und muss bei ihrer täglichen Arbeit viel Geduld aufbringen. Ganze zwölf Wochen dauert es, bis aus einem neuen Entwurf ein fertiges Möbelstück wird. Viele Prozesse müssen durchlaufen werden, damit ein Bett, ein Sessel oder ein Lampenschirm den heutigen Qualitätsanforderungen entspricht und das perfekte Squint-Design verkörpert. Als Belohnung für diese Geduld hat sie nur zufriedene begeisterte Kunden, die ihr auch mal auf einer leeren Zigarettenschachtel ein persönliches Lob aufkritzeln.
In ihrem 2005 gegründeten Unternehmen Squint beschäftigt sie zurzeit nur wenige Mitarbeiter sowie zwei Polsterer und einen Sachverständigen für die Accessoires wie Lampen und Spiegel. So klein und überschaubar ihr Betrieb ist, so perfekt organisiert und reibungslos verläuft die Produktion. Die eine Hand weiß genau, was die andere tut. Nimmt man Kontakt zum Unternehmen auf, ist es keine Seltenheit mit einer freundlichen und gut gelaunten Lisa Whatmough persönlich korrespondieren zu dürfen.
Das Neueste im Hause Squint sind die selbst entworfenen Tapeten, die den Lieblingslieferanten sicherlich gehörig Konkurrenz machen werden.
Fragt man die Farbenfreundin was sie sich persönlich für ihr weiteres Leben wünscht, so ist auch hier Bescheidenheit angesagt: Es zog sie fort vom Großstadtleben ans Meer, sie hat sich in Cromer in Norfolk ein Haus gekauft, um sich neben dem Design der Gärtnerei zu widmen. Sicherlich ein guter Ort, um neu inspiriert zu werden.
Wer in Deutschland bei seiner Inneneinrichtung ebenso viel Mut beweisen will wie die stilsicheren Briten, die einem Hauch von Exzentrik trotz aller Distinguiertheit nicht abgeneigt sind und die vor allem gerne einen ganz individuellen Stil pflegen, der kann Whatmoughs Möbel über ihre englische Website bestellen unter Squint-Limited.
Bildrechte: Squint-Limited
J. Florence Pompe
J. Florence Pompe ist freiberufliche Texterin seit 2010. Nach dem Studium der Germanistik und Pädagogik arbeitete sie einige Jahre in einem kleinen Lehrmittelverlag.
Als Texterin führt sie mehrere eigene WordPress-Blogs und arbeitet für Kunden redaktionell.
Am liebsten schreibt sie über Mode, Schmuck, Interieur, Design und Kunst. Alles, was mit Farben und Formen zu tun hat, fasziniert sie. Zum Thema Mode hat sie eine besondere Affinität, da sie in ihrer Jugend viel genäht hat und sich mit Stoffen und Schnitten gut auskennt.
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