Die Form der geschminkten Lippen wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrzehnte. Im Barock schminkte man sich z.B. gerne mal einen herzförmigen Mund. Heute haben wir tatsächlich alle 10 Jahre mehr oder wenige auffällige Trends im Bereich Lippenstift. Mal schmaler, mal breiter, mal akzentuierter mit richtigen Kanten, mal etwas großzügiger.
Beim Trend, welche Lippenform gerade in ist, spielt die Rolle der Frau in der jeweiligen Epoche eine ganz wichtige Rolle: In den 20er und 30er Jahren war ihre Rolle tatsächlich emanzipierter und unabhängiger als später in den 50er und 60ern. Eine Marlene Dietrich und eine Greta Garbo brauchten keine verführerisch sinnlichen Lippen um stark auf das andere Geschlecht zu wirken.
Ihr Stil war eher distanziert, ätherisch, mit leicht männlicher Note. Klare Linien in den Schnittformen der Kleidung, der Frisur und im Make-up waren gefragt. Die Stars spielten die Rolle der edlen Göttin, die alleine vor sich hin thronte. In jedem Fall waren es keine Weibchen, die ihre Männer anhimmelten. Solch krasse Gegensätze in der Rolle der Frau, spiegelte tatsächlich die Form der geschminkten Lippen wieder.
Verschiedene Lippenformen im Stil der jeweiligen Epoche
Die Goldenen 20er Jahre: Emanzipation, Prohibition und Rebellion
Charleston, freche Kurzhaarfrisuren, provokante kurze, aber weite Kleider machten den Stil der jungen Frauen aus. Zu den künstlich gewellten Haaren schminkte man sich einen hübschen, herzförmigen Mund in mattem Rotton. Der Look war eine Mischung aus kokett und leicht verrucht. Gerne schmauchte die Dame von Welt an einer langen Damenzigarette.
Erstmals emanzipierten sich die Frauen, sie gingen aus, tanzten wild und tranken schwarzgebrannten Whiskey. Die ersten Schwarz-Weiß-Filme kamen auf den Markt und die Mundform wurde extra betont, da man die Farbe ja nicht sehen konnte. Kultig wurden der „Amorbogen“ von Clara Bow, die „Vamp-Lippen“ von Theda Bara und der „Bienenstich“ von Mae Murray. Die Lippenfarben wurden extra dunkel und dramatisch gewählt wie fast Schwarz und Granatrot.
Die strengen 1930er Jahre: Zeit der Depression und Androgynität
Das Verspielte der 20er Jahre machte einer neuen Strenge Platz. Dabei waren klare, gerade Formen sehr beliebt. Perfektionistisch, klar und kühn war die Linie. Der Mund wurde mit eckigen Kanten geschminkt und schmal nach außen gezogen. Stil-Ikonen waren Greta Garbo und Marlene Dietrich. Frauen durften eigene Ideen durchsetzen und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Sie strahlten eine stählerne Androgynität aus.
Die Mode mit den weiten „Marlene-Hosen“ und Blazern unterstrich die maskuline Tendenz. Erstmals besann man sich auf den starken Willen, die Durchsetzungsfähigkeit und die Individualität von Frauen. Wichtig war aber auch, dass sie in aller Herbheit gleichzeitig bildschön waren oder sein sollten und hier wurde mit dramatischem Lidstrich und exakt gezupften schmalen Augenbrauen enorm nachgeholfen. Der Teint war porzellanhaft blaß und edel. Trendigste Lippenfarbe war ein seidig-glänzendes Braunrot.
Lippenstift in den Kriegsjahren: Die 1940er
Harte Zeiten voller Entbehrungen – und die Frauen sehnten sich nach den schönen Dingen. Lippenstifte waren natürlich Mangelware, aber wer einen hatte, benutzte ihn auch. Die Lippen wurden wieder voll geschminkt, mit schönen, symmetrischen Bögen. Der Look war selbstbewusst weiblich. Kein Wunder, denn die Frauen stemmten größtenteils alleine den harten Alltag, während die Männer im Krieg sein mussten.
Auf der Leinwand sah man ebenfalls starke Frauen mit eigenwilligem Charakter wie Bette Davis, Joan Crawford, Katherine Hepburn oder Rita Hayworth. Der Lippenstift war viel mehr als ein Schmink-Utensil, er signalisierte weibliche Stärke und Durchhaltekraft und kaschierte oder übertönte das Leid. Man wählte kräftiges Zinnoberrot.
Neuer Aufschwung: Die 1950er
Üppig, statt zurückhaltend, verführerisch statt autark: Die Frauen wollten wieder ein gemütliches Heim und nicht mehr alles alleine schaffen müssen. Daher schlüpften manche ganz gerne in die Rolle des Heimchens am Herd. Was wir heute an den alten Werbespots belächeln, war einfach eine Gegenbewegung zu den harten Kriegsjahren. Mann und Frau sehnten sich nach Behaglichkeit und klarer Rollenverteilung. Die Kriegsjahre waren für beide Geschlechter sehr hart.
Es gibt in dieser Zeit widersprüchliche Identifikationsrollen: Marylin Monroe und Audrey Hepburn. Die eine steht für pure, passive Weiblichkeit, die andere ist ein verspieltes, scheues, aber auch kokettes Reh. Die Lippenfarben waren auffallend und feminin wie leuchtendes Rot oder Pink.
Rebellion und starke Kontraste: Die 1960er
Flower Power, Woodstock, die sexuelle Revolution, die Pille, die Entdeckung des Weltalls – die 1960er Jahre waren sehr turbulent und voller Umbrüche. Der Schmollmund der Bardot stand für das aufmüpfige Verhalten der Jugend. Man ließ sich nicht mehr alles gefallen und stellte vieles in Frage. Die Schönheitsideale waren ebenfalls widersprüchlich: Während Brigitte Bardot noch für Üppigkeit, voluminöse Haare, dramatische Augen und niedliche Weiblichkeit stand, verkehrte Twiggy dieses Frauenbild.
Ihre magersüchtige Schönheit setzte einen Gegenpol zu der bisher gefragten Üppigkeit und dem Bild der Frau als Sexsymbol. Der Lippenstift ist in dieser Zeit eher blass, perlmuttschimmerndes Beige, Babyrosa und Silber bis Weiß sind die Farben.
Die Wilden 1970er: Disco und Soul
Die 70er Jahre waren bunt, schillernd und glamourös. Zu Plateau-Sohlen, Schlaghosen, glitzernden Kostümen passte ein klar konturierter, glänzender Mund. Stilikonen und Stars waren erstmals farbige Soul-Diven wie Gloria Gaynor und Diana Ross. Frauen werden selbstbestimmter, studieren, verzichten auf den Trauschein und probieren vieles aus. Dementsprechend ist die Lippenstiftfarbe selbstbewusst: Purpur oder Burgunderrot, glitzrig und auffallend. Die Lippen müssen nicht voll sein, Stars wie Farrah Fawcett verkörpern den neuen Look der sportlich-schlanken strahlenden Blondine.
Die schrillen 1980er Jahre: Punks und Madonna
Punk war in – ein dunkler, breiter Mund, gerne auch in Pink stand für eine neue, aufregende Zeit. Frauen wollten auch nicht mehr attraktiv und süß sein, sondern gerne provozieren. Stars wie Madonna oder Annie Lennox symbolisieren androgyne Schönheit. Neonfarben waren in, die Haare wurden in die Höhe gebürstet. Männer wie Frauen züchteten lange Mähnen, allerdings vorne kurz, hinten lang. Vokuhila. Die Lippenfarben wurden gerne dunkel gewählt, sogar Schwarz mit Metallic-Effekt war en vogue.
Die 1990er: Techno und ein neues Ich-Gefühl
In den 90er Jahren gab es nicht mehr so eindeutige Trends wie in den Jahrzehnten vorher. Man verabschiedete sich ein wenig vom Modediktat, suchte neue Freiheiten und Individualität. Die elektronische Musik eroberte die Welt, damit rückten die Musikstars auch ein wenig in den Hintergrund. Zum Techno kam die Digitalisierung. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten seine Individualität auszuleben: Tattoos, Piercings, Hip-Hop-Style in Musik und Mode, Fitness.
Der Lippenstift ist in dieser Zeit nicht besonders wichtig, gehört aber zum Leben dazu. Stars wie Julia Roberts mit ihrem tollen, großen Mund, Demi Moore, Meg Ryan oder Britney Spears repräsentieren alle völlig verschiedene Frauentypen. Wenn man einen Trend festlegen will, dann war es der, dass die Lippenfarbe Braunrot neu aufgelegt wurde und zwar in vielen verschiedenen Nuancen.
Die 2000er: Das neue Millennium und eine neue Suche nach Harmonie
Die Jahrtausendwende ging mit ein bisschen Besorgnis und Unsicherheit einher. So besann man sich wieder auf alte Werte wie Familie und Freunde: „Cocooning“ war das Trendwort. Die Mode wurde immer einfacher, reduzierter und sportlicher. Der Lippenstift sollte die Natürlichkeit der Trägerin unterstreichen und so gab es vor allem pastellige, zart schimmernde Nuancen wie Beige, Rosa und Apricot. Wer sich den Mund kräftig Rot schminkte, fiel schon auf.
Die 2010er – neue Farben, neue Stilrichtungen
Volle Lippen sind so gefragt wie nie. Stars und Sternchen helfen bei fehlender Fülle nach, wo es geht und mit was auch immer es geht… Kaum jemand hat von Natur aus einen Mund wie Angelina Jolie, aber gewünscht ist das Ideal trotzdem. Es wird aufgespritzt, geschröpft, gebürstet und mit Permanent-Make-up gemogelt. Im Alltag und unter den Normalos spielt dieser Trend kaum eine Rolle. Im Gegenteil, die meisten Leute finden aufgespritzte Lippen fürchterlich, schließlich sieht es meist so aus, als wäre man von einer Biene gestochen worden und man spricht nicht umsonst von „Schlauchbootlippen“.
Von Stefan Servos – See below, CC BY-SA 3.0, Link
Wer so ganz und gar unzufrieden ist mit zu schmalen Lippen, kann sich heute tatsächlich mit einer Pigmentierung in Lippenfarbe den Mund optisch vergrößern lassen. Das funktioniert ähnlich wie bei Tattoos. Solche Eingriffe sind natürlich immer ein Risiko, nicht nur gesundheitlich, sondern auch wegen des Ergebnisses. Pfusch ist schwer wieder revidierbar. Was Make-up und Schmink-Rituale angeht, so gibt es nichts, was es nicht gibt. Dank zahlreicher Beauty-Blogs und youtube-Stars ist aufwendiges Schminken zum Trend geworden. Stil-Ikonen wie Kim Kardashian plus Schwestern machen Millionen von Fans vor, dass man aussehen muss, wie gemalt. Contouring ist das neue Schlagwort, man schminkt sich mit hellen und dunklen Make-up Farben ein neues konturiertes Gesicht. Passend dazu gibt es Lippenstiftfarben in allen erdenklichen Farbtönen. Ebenso wie Nagellackfarben.
Lippenstiftrends 2017/18 :
Welche Lippenstiftfarben sind aktuell im Trend?
Die 80er feiern ein Revivial, daher trägt man nun wieder knalliges Pink in verschiedenen Nuancen. Glitzer und Metallic sind auch gefragt. Die zarten Rosétöne, die nicht jeder Dame stehen und oft süßlich wirken, sind ebenfalls beliebt. Orange ist neu und wirkt sehr frisch. Rote Lippen bleiben im Trend und ein Dauerbrenner. Beerentöne bis Schwarz setzen neue Akzente und sind sehr empfehlenswert. Nudetöne wirken immer dezent und edel und passen an jedem Tag. Erlaubt ist vieles! Wer experimentierfreudig ist, probiert verschiedene Töne aus. Besser ist es jedoch, zu schauen, was einem steht und was zur eigenen Garderobe passt. Einige Farbtöne wie Rosa und Pink sind eher jungen Frauen vorbehalten, während dunkle Beerentöne auf den Lippen grau- und weißhaariger Damen erstaunlich gut aussehen!
Quelle: Text und Illustrationen: beautypress
Inspirationen von:
Aucoin, Kevyn: Die Kunst des Make-up, München: Journal International Verlag, 1995
Pallingston, Jessica: Lipstick, 1. Aufl. New York: St. Martin’s Press, 1999
J.Florence Pompe
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J. Florence Pompe ist freiberufliche Texterin seit 2010. Nach dem Studium der Germanistik und Pädagogik arbeitete sie einige Jahre in einem kleinen Lehrmittelverlag.
Als Texterin führt sie mehrere eigene WordPress-Blogs und arbeitet für Kunden redaktionell.
Am liebsten schreibt sie über Mode, Schmuck, Interieur, Design und Kunst. Alles, was mit Farben und Formen zu tun hat, fasziniert sie. Zum Thema Mode hat sie eine besondere Affinität, da sie in ihrer Jugend viel genäht hat und sich mit Stoffen und Schnitten gut auskennt.
Ein wirklich toller Post! Ich lese so was Geschichtliches sehr gerne, da ich es sehr spannend finde, wie sich die Beautytrends im Laufe der Zeit entwickelt haben 🙂
Liebe Grüße
Elina
Ja stimmt und auf einmal bekommt der oberflächliche Touch von Kosmetik ein anderes Gewicht, wenn man sich klarmacht, wie sie doch die Rolle der Frau in der jeweiligen Zeit widerspiegelt.
Ein wirklich interessanter und umfassender Beitrag. Vieles davon wusste ich gar nicht, danke für’s Teilen. 🙂
Liebe Grüsse Liv