Dieses Pärchen war mir schon aufgefallen, als sie ihren Platz gesucht haben. Genau so ging Zelten früher und nur noch ganz wenige beherrschen diese Kunst. Die schwere Maschine, so ein richtiger Cruiser, mit breiten Sitzen, Trittbretter statt Fussrasten, lederne Seitentaschen, schwarzglänzender Lack und ganz viel Chrom. Nur wenig störte der Kunststoffkoffer hinter dem Sozius, welcher als Gepäckfach und gleichzeitig als Rückenlehne dient.
Der Stellplatz, ganz im Gegensatz zum tatsächlichen Bedarf, wirkte viel zu gross. In wenigen Minuten war in einer Ecke ein Zelt aufgebaut, das, noch verpackt, bequem in einem Schuhkarton Platz gefunden hätte. Es erinnerte in seiner Bauart an die Zelte, welche wir als Kinder gebaut haben, indem wir ein Seil von Baum zu Baum spannten und eine Decke darüber warfen. Eine minimalistische Unterkunft mit der Breite von zwei Isomatten und der Höhe eines Gartenstuhls. Einziger Luxus war ein Vorzelt mit halber Länge, in dem ein paar Sachen trocken untergestellt werden konnten.
Diagonal spannte sich eine Wäscheleine von Baum zu Baum.
Das Pärchen hatte es sich nach kurzer Zeit in der daneben liegenden Ecke, einem Plätzchen auf spärlichem Rasen, bequem gemacht. Ein kleines Tuch bildete den Untergrund für ein leckeres Abendbrot mit allem Nötigen. Frisches Baguette, Käse, Obst und eine Flasche Rosé. Auf dem Campingkocher stand ein kleiner Topf und Wasser kochte für einen Kaffee. Sie sprachen leise miteinander und in Reichweite lag eine Strassenkarte der Umgebung. Es wurde wohl ein Ausflug geplant.
Die entstandene Situation hätte gut an den Strand und in die 60er/ 70er Jahre des letzten Jahrhunderts passen können.
Aber so sassen die beiden, eingerahmt von modernen Wohnmobilen und Wohnwagen, mit Vorzelten und Klimaanlagen, Landstrom und Satellitenschüsseln, oder wenigstens Mehrraum Wohnzelten, auf einem Campingplatz mit hochmoderner Infrastruktur, W-LAN und Mückenvernichtern.
Um sie herum das Getümmel der ausklingenden Sommerferien.
Es sind kaum noch schulpflichtige Kinder auf dem Platz, viele Eltern mit Kleinkindern nutzen die beginnende Nachsaison, im scheidenden Sommer, um noch einen Familienurlaub zu geniessen. Sichtlich bemühte Väter versuchen die Bedürfnisse des windeltragenden Nachwuchses zu erfassen, da der sich nicht entsprechend artikulieren kann. Mütter würden wohl gerne die von ihren Männern eingeräumte Zeit nutzen und in der Natur einige Ruhestunden geniessen.
Letzte Rettung für die, dann doch angespannt wirkenden Eltern, ist der Gang zum Strand.
Und dieser Gang holt uns, als Beobachter, wieder in das hier und heute. Der Steppke mit dem übergrossen Helm, in Froschform, farblich abgestimmt mit den Wegwerfwindeln, blitzschnell auf dem Laufrad, eine Staubwolke hinter sich ziehend, aus der dann die Mutter auftaucht. Sie, die Tochter an der Hand und den Rucksack auf dem Rücken. Dann kommt Er.
Damals, einst im Mai, haben wir sie gesehen. Gruppen von Männern, Kerle, knallharte Typen, gescharrt um einen Bollerwagen, mit einem Fässchen, wenigstens aber zehn Kästen, feinstes Hopfenbräu.
Das ist Er nicht. Er hat den faltbaren Bollerwagen, mit imprägnierter Leinwandbespannung und Sonnendach. Schwer beladen, mit den nötigsten Sachen für einen entspannten Tag, oder einige Stunden, am Strand. Strandmuschel, Spielzeug, Werzeuge für die Konstruktion der aufwändigsten Kleckerburg am Strand, Handtücher, Strandlaken, Kühlbox, Lenkdrachen, aufgeblasene Schwimmflügel, klappbare Strandstühle, Sonnenschirm, Wickeltasche und oben drauf die Badeinsel für vier Personen, in Form eines regenbogenfarbenen Einhorns.
Bei dem Anblick stellt sich mir automatisch eine Frage. Was hat Mutti im Rucksack, der schwer auf ihr lastet.
Noch bevor die Dämmerung hereinbricht, werden sie den Weg zurück kommen. Meist in umgekehrter Reihenfolge, denn gleich, wenn der Wagen entladen ist, gibt es Dosenravioli und ein Blondes aus der Flasche. Beim richtigen Camping macht man das so. Wenn die aufgebrachten Sprösslinge dann im Bett liegen und sich todmüde in den Schlaf spielen, können die Eltern noch eine Platzrunde machen, im Restaurant ein Glas Wein trinken und mit Wildfremden ein Gespräch über die Vorzüge des Familienurlaubs auf dem Campingplatz führen.
Ach ja, das Pärchen, beide sind so um die 70 Jahre alt. Auch sie haben die Vorzüge des Campingplatzes genutzt. Das wenige Geschirr ist gespült, die Handtücher hängen sorgsam auf der gespannten Leine. Frisch geduscht sitzen sie, händchenhaltend auf einer Decke. Ein Glas Wein steht da und die Flamme einer Kerze flackert leicht im Abendwind. Sie schauen lächelnd in den Sternenhimmel. Verliebt hat man Freude an ganz kleinen Dingen.
Amadeus
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Amadeus Stur, Jahrgang 1964, Randberliner, seit 2011 in der Schweiz.
Ich schreibe aus der Seele und wenn nur ein Leser ein Lächeln auf die Lippen bekommt, hab ich Erfolg.
„Ein bisschen bekloppt ist völlig normal“
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